Unterschiede im Ost-West-Vergleich beim organisierten Sport
Beim organisierten Sport gibt es auch 33 Jahre nach der Vollendung der Deutschen Einheit noch große Unterschiede im Ost-West-Vergleich. Während in den alten Bundesländern rund 30 Prozent der Bevölkerung Mitglied in einem Sportverein sind, liegt der Anteil im Osten der Sportwissenschaftlerin Petra Tzschoppe zufolge bei rund 16 Prozent. Während einer öffentlichen Sitzung des Sportausschusses am Mittwoch wurden Erklärungsansätze für dieses Missverhältnis gesucht. Diese reichten laut Tzschoppe von der zu geringen Zahl Ostdeutscher in Führungspositionen des Sports, über die Folgen des gesellschaftlichen Umbruchs 1989/90, den Unterschieden in der Bevölkerungs- und Sozialstruktur bis hin zu einer „Delegitimierung des DDR-Sports“.
Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden des Landessportbundes Sachsen-Anhalt, Tobias Knoch, spielen auch die prekären finanziellen Situationen der Kommunen eine wichtige Rolle. Christian Dahms, Generalsekretär des Landessportbundes Sachsen, beklagte das Fehlen der für den Vereinssport im Osten benötigten ehrenamtlich Tätigen seit der Zeit der Corona-Einschränkungen.
Neben dem Organisationsgrad gebe es auch erhebliche Unterschiede bei der Größe der Vereine, sagte Petra Tzschoppe während der Sitzung. Der überwiegende Teil der Sportvereine im Osten Deutschlands seien kleine Vereine mit weniger als 100 Mitgliedern. „Große Vereine mit komplexer Angebotsstruktur sind in der Minderzahl“, sagte sie. Auch in Bezug auf die personellen Ressourcen – ehrenamtliches Engagement sowie bezahlte Mitarbeit in den Vereinen – lägen die Zahlen in den östlichen Ländern unter dem Bundesdurchschnitt.
Mit Blick auf Führungspositionen zeige sich eine weitere Ausprägung von Ungleichheiten, sagte Tzschoppe, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig tätig ist.
Menschen mit ostdeutscher Biografie seien in den Führungseliten der Bundesrepublik deutlich unterrepräsentiert. „Dies gilt auch für den Sport.“ In den aktuell 38 olympischen Spitzenverbänden sowie im Deutschen Behindertensportverband als paralympischem Verband seien von 303 ehrenamtlichen Führungspositionen lediglich 25 mit ostdeutsch sozialisierten Personen besetzt (8,25 Prozent). In den hauptamtlichen Leitungspositionen dieser Verbände betrage der Anteil ostdeutsch Sozialisierter 13,9 Prozent. „Auch im Dachverband DOSB gehört aktuell weder dem ehrenamtlichen Präsidium noch dem hauptberuflichen Vorstand eine Person mit Ostsozialisation an“, kritisierte sie.
Der immer wieder angeführte historisch begründete Unterschied, dass es in der DDR zwar Leistungssport, aber keinen Breitensport gegeben habe, greife als Erklärungsansatz nur bedingt, sagte Tzschoppe. Schließlich habe 1988 der Organisationsgrad noch bei 22 Prozent gelegen. Aus dem gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 habe jedoch das Wegbrechen der an Betrieb und Schulen angebundenen Sportinfrastruktur resultiert. Ein weiterer Einflussfaktor sei der ausgeprägte demografische Wandel in Ostdeutschland, der sich in einer schrumpfenden Bevölkerung mit einem hohen Durchschnittsalter manifestiere.
Tzschoppe kritisierte zudem die Delegitimierung des DDR-Sports. Ehemalige DDR-Spitzensportler seien immer wieder in Doping- oder Stasinähe gerückt und ihre sportliche Leistung nicht ausreichend gewürdigt worden. Beleg dafür sei, dass einem der populärsten und erfolgreichsten Sportler in der DDR-Vergangenheit, dem Radrennfahrer Gustav Adolf „Täve“ Schur, die Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports versagt worden sei.
Aus Sicht von Tobias Knoch vom LSB Sachsen-Anhalt begrenzen auch die nicht ausreichenden und sich in einem schlechten Zustand befindlichen Sportstätten in seinem Bundesland die Stärkung des organisierten Sports. Drei Viertel der Sportstätten seien im Eigentum der Kommunen, die oft nur das allernötigste für den Erhalt täten. Da der Sport eine freiwillige Leistung sei, würden viele Kommunen angesichts der prekären finanziellen Haushalte zudem auch beim Sport kürzen.
Christian Dahms vom LSB Sachsen verwies darauf, dass sich die Vereine in Sachsen noch immer nicht von der Austrittswelle während der Coronazeit erholt hätten. Besonders problematisch sei die Lage bei den Ehrenamtlern, die seiner Ansicht nach mehr Anerkennung brauchen. Dahms machte zugleich deutlich, dass die Vereine zur Verbesserung ihrer finanziellen Situation nicht einfach die Beiträge erhöhen könnten, da es zum einen an attraktiven Sportstätten mangle und zum anderen die Durchschnittslöhne im Osten nach wie vor unter jenen im Westen lägen.