Die langen, dunklen Winterabende sind zwar vorbei, mein Oller und ich verbringen aber trotzdem viel Zeit in den eigenen vier Wänden. Notgedrungen. Wegen Cornelius. So heißt das jedenfalls jetzt bei mir. Mit der Festlegung auf das männliche Geschlecht habe ich meinen vorläufigen Frieden mit diesem Virenviech gemacht. Ist ein Virus eigentlich überhaupt ein Tier? Oder eine Pflanze? Letzteres wohl eher nicht. Bei Ersterem bin ich mir nicht sicher. Gugeln mag ich bei der mir zur Verfügung stehenden Datengeschwindigkeit auch nicht.
Wer wie wir zu Hause den größten Teil seiner Tage verbringt, wer wie wir keinen Garten als Auslauf hat, der leidet. Unter der digitalen Anbindung an die Welt, die die Bezeichnung „Anbindung“ nicht verdient. Der leidet unter dem Fernsehprogramm, das zum größten Teil aus Wiederholungen besteht. Ja, selbst die Nachrichten von gestern, vorgestern, heute oder morgen sind ziemlich austauschbar. Cornelius hier, Cornelius da. R-Werte, die nichts rechtes aussagen, geglättete Werte, die was mit der realen Situation zu tun haben sollen, ach, was weiß ich!
Mein Oller und ich haben das Spielen wiederentdeckt. Spannender als jedes Fernsehen, keine Wiederholungen, außer, dass ich meistens gewinne. Das ist aber auch die einzige Wiederholung. Unser derzeitiges Lieblingsspiel ist das Nachfolgespiel von Monopoly. Entwickelt wurde es bemerkenswerter Weise nicht von einer Spielefabrik, sondern in einer Unternehmensstruktur, in der man viel Zeit hat und ganz dicht an der Materie sitzt. Ich glaube, es kommt aus einer Verwaltung.
Das Spiel heißt: „Kleiner Diktator“. Witzig, nicht? Im Grunde geht es darum, in einer Hierarchie möglichst schnell möglichst weit nach oben zu kommen und vor allem dort möglichst lange zu verweilen. Dazu werden von den Spielern abwechselnd Karten aufgenommen, die jeweils eine bestimmte Frage stellen. Zum Beispiel: „Dein Mitarbeiter legt ein Gutachten vor, das dir nicht gefällt. Was tust du?“ Auf der Rückseite der Karte sind dann mehrere Antwortmöglichkeiten gegeben: 1. Ich denke darüber nach, ob ich selbst da was übersehen habe. 2. Ich spreche mit dem Mitarbeiter über die kritischen Stellen. 3. Ich frage den Mitarbeiter, ob er noch alle Latten am Zaun hat. 4. Ich beauftrage den Mitarbeiter, ein Gutachten zu verfassen, das mein Wohlwollen findet. 5. (mögliche Zusatzantwort) Ich beende das Gespräch mit der Frage, ob wir uns verstanden haben.
Nach der Auswahl der Antwort schaut man auf einer Liste nach, wie viele Punkte es für sie gibt. Die Anzahl der Punkte orientiert sich allerdings nicht an ethisch-moralischen Werten oder menschlich-anständigen Vorstellungen. Nein, es wird die Antwort am höchsten bewertet, die dem eigenen Fortkommen, sprich, der eigenen Karriere dienlich erscheint. Im konkreten Fall wären das die Antworten 3,4 und die Zusatzantwort 5. Das Knifflige am Spiel ist, dass die Positionen der Spieler ständig wechseln können. Es ist zwar möglich, im Spiel Allianzen zu bilden, aber es ist nie sicher, wann einen ein Verbündeter dann doch in die Pfanne haut. Und man weiß vor dem Ende des Spiels nie, wer die letzte Chefkarte zieht. Aber Achtung! Die Anzahl der Gemeinheiten, Unwahrheiten und Unanständigkeiten sind schier unbegrenzt. Wer oben ist, muss oben bleiben, sonst scheidet er aus.
Das Spiel ist ganz besonders für Unternehmen, Verwaltungen oder Familien geeignet, die unter einem harmonischen Arbeits- bzw. Familienklima leiden. Denn nach dem Spiel redet in der Regel kaum noch jemand mit dem anderen. Der Gewinn für den Einzelnen liegt darin, dass das Fernsehprogramm, die miserable Internetverbindung und selbst Cornelius nur noch halb so schlimm erscheinen.