Mein Oller ist, wie man so schön sagt, ein brandenburgisches Urgestein. Aber wenn sich die Blätter färben, fällt er immer mal wieder ins Grübeln. Den Text des Brandenburgliedes kannte er schon, als der Rest der Welt noch fest davon überzeugt war, dass es sich bei Brandenburg lediglich um eine eher kleine Ackerbürgerstadt handelt. Was nicht verwundert, gab es ja lange Jahre kein Bundesland Brandenburg. Aber nun! Seit drei Jahrzehnten bremst nichts und niemand die Entwicklung dieser nicht nur bei Touristen beliebten Region. Außer Mangel an Geld vielleicht. Und dem an Fantasie…
Der Brandenburger ist ein stolzer Menschenschlag. Dass er mitunter Ressentiments gegenüber seinen Nachbarn pflegt, mag auch historische Wurzeln haben, mussten sich preußische Truppen während des Napoleonfeldzuges auf Berlin doch auch mit sächsischen, bayrischen und württembergischen Söldnern in den französischen Reihen herumschlagen. Inzwischen ist der Berliner, den man dazumal so tapfer und vor allem erfolgreich verteidigte, auch nicht mehr, was er für den Brandenburger mal war. Der Brandenburger ist halt lieber unter sich. Eigene Traditionen werden mit Klauen, Zähnen und großzügigen Zuschüssen der Landesregierung verteidigt und so hochgehalten. So ist er halt, der Brandenburger. Besser gesagt, so ist er gewesen, der Brandenburger!
Erntedankfest! Was für ein sperriger Begriff. Erntedankfest: Ernte – Dank – Fest, „Ernte“, klingt nach Arbeit; „Dank“, klingt nach Unterwerfung, wem, bitteschön, soll man denn danken? Man hat schließlich selbst auf den Feldern geackert! Nur „Fest“, das klingt gut. Nach Feiern, Tanzen, Saufen. Ergo: Der Brandenburger unterwirft sich nicht. Niemals! Und dennoch zieht er (FREIWILLIG!) immer öfter im Herbst die Krachledernen an, zwängt die Brandenburgerin ihre Oberweite, so vorhanden, (FREIWILLIG) in ein Dirndl. Oktoberfeste sind angesagt und immer angesagter.
Bayrisches Brauchtum wird bereitwillig zelebriert, die dazu gehörigen Devotionalien eifrig kopiert. Weiß-blau gescheckte Festbäume, weiß-blau gerautete Festzelte und anderes Dekozeug gleicher Farbgebung haben über die Jahre brandenburgische Festplätze erobert. Weitgehend ohne Blutvergießen, sieht man von gelegentlichen Prügeleien unter angeschäkerten Feiernden ab. Ja, ja, man hat vielerorts kapituliert. Man hat brandenburgische Fest-Kultur schlichtweg dahingeopfert. Die Maß wird zum Maß der Dinge, sobald sich der frohe Malersmann namens Herbst anschickt, auf die Leiter zu steigen. Wählte man doch statt weiß-blau wenigstens weiß-rot! Der rote Adler macht doch auch viel mehr her, als ein güldener Löwe! Doch das will niemand wahrhaben.
Andererseits: Die Maßen im Übermaß genossen, machen selbst den rötesten Adler kurz über lang zum blauen Bock. Na denn: Prosit!