Unsere Enkeltochter ist unter der Haube. Endlich! Mit Ende Dreißig und einem krisenfesten Job in einer Landesbehörde, hat sie ihr Leben durch einen ansehnlichen, freundlichen, gut situierten Partner vervollständigt. Man lernte sich bei der Arbeit kennen, Planung und Bauvorbereitung der Erneuerung von Autobahnabschnitten. Allein das hätte uns zu denken geben müssen! Egal – kürzlich erwarben sie ein Grundstück, um sich ein eigenes Häuschen bauen zu lassen. Zunächst freuten wir uns ganz fürchterlich, träumten von Wochenenden, in denen wir auf Besuch fahren und verwöhnt würden, mal aus unseren vier Wänden rauskämen. Dann zeigte uns das junge Glück seine Pläne: „Wir bauen ganz genau nach unseren Bedürfnissen! So ein eigenes Haus muss sitzen, wie meine Jeans“, lachte unsere Enkeltochter. Beim Anblick der straffen Passformen kamen erste düstere Ahnungen auf. Die Baupläne übertrafen dann aber doch unsere schlimmsten Erwartungen! Ein Tiny House wäre im Vergleich zu dem, was wir zu sehen bekamen, eine Turnhalle. „Kind, kannst du dich noch an unseren 15er Jollenkreuzer erinnern, den wir vor 8 Jahren verschrottet haben? Da war aber mehr Platz in der Kajüte als in eurer Hütte hier!“ Mein Oller kratzt sich am Kopf. „Opa, mehr brauchen wir im Moment nicht! Wir können Wasser warm machen, hier ist der Eimer zum Waschen und hier der zum – na, du weißt schon, und hier haben wir das Wichtigste: ein Bett.“ Es war tatsächlich nur EIN Bett! „Mehr brauchen wir nie!“ Sie schmiegen sich verliebt aneinander.
„Und ihr denkt, das bleibt so?“ Wir sind gefühlte 99 Jahre miteinander verheiratet, wissen wovon wir reden. Die Kinder wissen das auch. „Nee, natürlich bleibt das nicht ewig so“, räumen sie ein, „aber dann stellen wir ein zweites Bett auf.“ „Wo denn bloß?“, mein Oller versucht sich umzudrehen, „ich seh‘ hier dafür keine Möglichkeit.“ „Natürlich, stimmt, wir bauen dann selbstverständlich neu“, lautet die Antwort. „Nicht anbauen, neu bauen! Weg die alte Hütte, zack, neu bauen. Größer, genau dem Bedarf entsprechend.“ „Und warum baut ihr nicht gleich ein bisschen größer? Ihr werdet es doch sowieso müssen.“ „Das weiß niemand so genau, außerdem macht man das heute so, Opa.“
Mein Oller sieht etwas ratlos aus, guckt mich hilfesuchend an. Mir schwant schon lange was. AUTOBAHNBAUPLANUNG! Klar! Erst die Verkehrszählung: zwei Spuren reichen, da würden sogar noch ein paar PKW zwischen die Laster passen. Standspur? Wozu, es bleiben doch kaum Autos liegen, gemessen am Verkehrsaufkommen. Hat noch den Vorteil, dass die Brücken nicht so breit gebaut werden müssen. Das spart so richtig!
Die Frage des einfachen Menschen und Steuerzahlers, warum nicht die zu erwartenden steigenden Verkehrszahlen bei der Planung berücksichtigt werden, beantwortet niemand wirklich. Gespart wird jetzt. Weiß man, wie die Zukunft aussieht? Nein! Vielleicht hat der Fahrbahnbelag ja schon in 6 Jahren „Betonkrebs“? Dann muss er ohnehin neu gemacht werden. Vielleicht haben alle Laster Fahrverbot? Dann müsste man sogar rückbauen. Vielleicht verdoppelt sich das Verkehrsaufkommen? Reine Spekulation! (Sagen die Sparfüchse.)
So färbt der Beruf auf das Leben zwischen Feierabend und Schichtbeginn ab! Unsere Kinder jedenfalls hat es voll erwischt.
„Wie groß, sagtet ihr, ist euer Baugrundstück?“, will mein Oller wissen.
„Zunächst 144 Quadratmeter“, lautet die Antwort, „mehr brauchen wir im Moment nicht.“
„Aber wenn…“. Ich stoße meinen Ollen an. Erinnere ihn, dass in 48 Minuten seine Lieblingsserie im Fernsehen anfängt und wir noch eine gute halbe Stunde Heimweg vor uns haben. Denn ich habe den Kostenvoranschlag von Zaun-Schuster entdeckt. Dabei der Entwurf eines Gartentors, Breite 0,44 m. Da passt nicht mal ein Kinderwagen durch, ich jedoch frage nicht nach. Weil ich die Antwort wahrscheinlich kenne? Weit gefehlt! Zum Abschied strahlt uns unser Enkelkind an: „Übrigens, ihr werdet Urgroßeltern! Wir müssen uns also ranhalten, dass der Bau fertig wird, damit wir neu konzipieren können! Ein günstiges Abrissunternehmen haben wir schon gefunden.“