Liebe Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Oder-Spree,

wir erleben eine Zeit, die uns seit zweieinhalb Jahren jeden Tag aufs Neue mit immer verrückteren Herausforderungen konfrontiert. Krisengeschehen bestimmen unseren Alltag und damit auch das Agieren unserer Verwaltung. Eine solche Phase hat es in den fast drei Jahrzehnten des Bestehens des Landkreises Oder-Spree noch nicht gegeben. Trotz der aufreibenden Monate, die hinter uns liegen, sollten wir uns stets des Kerns unserer Aufgabe bewusst sein und dieser liegt nicht darin, das eine oder andere Verwaltungsgeschäft noch formvollendeter auszugestalten, sondern letztlich darin, die Verhältnisse, in denen wir leben, in Ansehung der Vorgaben unserer Verfassung bestmöglich vor allem aber menschenwürdig auszugestalten. Das gilt für eine Kreisverwaltung in besonderem Maße, da sie letzten Endes das Gesicht des Sozialstaats vor Ort prägt. Denn 75 Prozent unseres Haushaltes von fast 500 Millionen Euro sind durch soziale Leistungen gebunden. Und ich denke, das ist der erfreulichste Aktivposten in unserer Bilanz. Dieser Anspruch ist zugleich das tragende Fundament aller, die sich in die Gestaltung unseres Gemeinwesens einbringen, gleich ob man dabei die aktiven ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürger, den Kreistag als die gewählte Vertretung oder aber den Landrat und seine Verwaltung als Behörde vor Augen hat. Und das gilt auch ungeachtet unterschiedlicher Auffassungen, die man zu den einzelnen Punkten sicherlich haben kann und die in einem demokratischen Prozess dann zum Ausgleich gebracht werden.

Krisenlagen laufen für gewöhnlich nicht immer gemütlich ab. Insofern gibt es auch berechtigte Kritik und Protest. Ein Punkt, den ich in letzter Zeit immer wieder gehört habe, bezieht sich darauf, die Gesellschaft sei gespalten und viele Bürger verstünden die Politik schlicht nicht mehr. Ich kann das nach eigener Wahrnehmung so nicht bestätigen. Denn gerade bei unserer größten Krise in 2022 waren wir auf den Zusammenhalt dieser Gesellschaft angewiesen. Ich spreche von der Flüchtlingsunterbringung und der unbeschreiblichen Solidarität, die viele Bürger auch im Landkreis Oder-Spree gegenüber den aus der Ukraine vertriebenen Menschen gezeigt haben, indem sie ihnen Wohnungen gaben, sie zum Teil an der polnischen Grenze abholten, sie zunächst mit dem Nötigsten versorgten, Behördengänge für sie übernahmen und damit staatliche Institutionen in großem Maße unterstützten. Denn eines muss uns auch klar sein: Für ein Krisenstakkato, wie wir es seit zweieinhalb Jahren erleben, kann man dauerhaft keine regulären Strukturen und Personalkapazitäten vorhalten.

Ich denke, das solidarische Agieren vieler Bürger ist ein gutes Zeichen und straft diejenigen Lügen, die behaupten, wir lebten in einer rücksichtslosen Ellenbogengesellschaft. Und auch diejenigen, die sich hier nicht in der beschriebenen Weise eingebracht haben, leisten doch ganz selbstverständlich ihren Beitrag. Denn wenn Bürger bis zur Hälfte ihrer Wirtschaftsleistung in Form von Steuern, Beiträgen und Abgaben an den Staat zur Finanzierung des Sozialstaats abführen, dann erkennt man darin, dass das Soziale, so wie das auch sein soll, in unserer Gesellschaft eine hohe Anerkennung hat. Und dieser Gedanke drückt sich ebenso in den vielen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen aus – sei es zur Abmilderung der Folgen von Corona und Afrikanischer Schweinepest oder zuletzt zur Abfederung der hohen Inflation durch Ermäßigungen im öffentlichen Personennahverkehr, dasselbe gilt für die von der Bundesregierung neu beschlossene Deckelung der Energiekosten oder die Verbesserungen in den Bereichen Wohngeld und Bürgergeld.

Diese gigantischen Aufwendungen deuten aber auch auf die Dimension des Krisengeschehens, was uns im Moment umgibt und in dem der Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine sicherlich die bedrohlichste Krise darstellt – allein der unabsehbaren Folgen wegen. Das Neue – das hat sich bereits bei Corona wie auch bei der Afrikanischen Schweinepest und dem Fischsterben in der Oder abgezeichnet – sind die globalen Zusammenhänge, in denen diese Krisenphänomene zu denken sind.
Und das gilt besonders für den Krieg in der Ukraine und seine bewusst kalkulierten Folgen wie Flucht, Vertreibung und Hunger als Erpressungsmittel gegenüber der westlichen

Sanktionspraxis und letzten Endes auch für die nicht gelösten Versorgungsprobleme im Energiebereich und die dadurch angeheizte Inflation. Hinzu kommt der Punkt, dass wir uns energiepolitisch in eine schwierige Transformationsphase hin zur Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien bewegen, für die es aber noch kein durchgängiges Konzept gibt. Diese Herausforderungen betreffen mittlerweile nicht mehr nur die andern, sondern haben sich in unseren Alltag durchgefressen. Auch die Kreisverwaltung muss Antworten auf komplexe Aufgaben finden: Wir haben wie schon 2022 auch im kommenden Jahr wiederum mit etwa 2500 geflüchteten Menschen zu rechnen, die wir im Landkreis unterbringen müssen. Das bringt unser Amt für Ausländerangelegenheiten und Integration an den Rand seiner Möglichkeiten. Insofern müssen hier jetzt alle Anstrengungen unternommen werden, um intern das Personal so umzuschichten, dass dieser neuralgische Verwaltungsbereich gestärkt wird und wir werden neue Gemeinschaftsunterkünfte erschließen müssen.

Ein ehrgeiziges Programm liegt auch vor dem Baubereich. Ich erinnere hier nur an die Schulbauvorhaben, die wir uns in unserer Prioritätenliste vorgenommen haben. 120 Millionen Euro, bezogen auf die nächsten fünf Jahre – das will alles erst einmal vorbereitet und in Gang gebracht werden. Zudem wird das Baudezernat in Gänze ausreichend beschäftigt sein, um neben dem Regelbetrieb die Erweiterungsvorhaben bei Tesla genehmigungsrechtlich zu begleiten.
Was unsere eigenen Bauvorhaben anbelangt, zeigt sich zudem eine ungünstige Entwicklung in Gestalt horrender Preissteigerungen, die unsere Kaufkraft im letzten Jahr weit über die ausgewiesene Inflationsrate von um die 10 Prozent geschmälert haben. Es zeichnet sich ab, dass die kommunalen Haushalte auf mittlere Sicht notleidend werden, wenn Unterstützung, die wir jüngst noch durch das Brandenburg-Paket erfahren haben, in 2024 ausläuft. Dann wird das ganze Ausmaß der Verschlechterung der öffentlichen Haushalte sichtbar werden.

Allerdings dürfen wir uns im Landkreis Oder-Spree insoweit glücklich schätzen, als wir in den zurückliegenden Jahren solide gewirtschaftet haben und eine erkleckliche Rücklage von etwa 70 Millionen Euro aufbauen konnten. Zudem ist der Landkreis schuldenfrei. Der nächste Landrat – oder vielleicht bewirbt sich ja noch eine Landratskandidatin – den oder die Sie im Frühjahr 2023 wählen, erwarten große Herausforderungen, denn zumindest die Kriegsfolgen werden uns noch lange beschäftigen. Dennoch findet er oder sie trotz aller Schwierigkeiten eine ganz passable Haushaltslage vor, was kommunalpolitische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein besinnliches Weihnachtsfest. Kommen Sie gut ins neue Jahr! Mögen Glück, Gesundheit und Zuversicht Ihnen 2023 treue Begleiter sein!

Ihr Landrat
Rolf Lindemann

 

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